Heisse Hunde by Kurt Lanthaler
Autor:Kurt Lanthaler [Lanthaler, Kurt]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: HAYMON
veröffentlicht: 2015-05-05T16:00:00+00:00
311288. Wien. 1.Bezirk
Franco Marini hatte das Café verlassen ohne zu erfahren, wer Schopenhauer war. Er hatte vergessen, Sobiezki danach zu fragen. Die bunten Lichter hatten ihn in das kleine Lokal gezogen. Der Durst. Die Tatsache, daß er nichts besseres vorhatte, nicht wußte, wohin und wozu. Die Hoffnung, die bunten Lichter würden ihm eine Idee eingeben, die ein paar Schillinge wert war.
Er hatte sein Seidl noch nicht zu Ende getrunken, als ihm klar war, daß das Café Hawai eine totale Fehlinvestition war. Eine Handvoll Lehrlinge hatte sich hier ihre sturmfreie Bude eingerichtet, die Wände über und über mit bunten Postkarten aus aller Welt tapeziert, vorzugsweise Sonnenuntergänge. Hier war kein einziger Groschen zu holen. Die waren mit ihren sechzehn Jahren schon genauso am Ende angekommen wie er mit seinen neunundzwanzig. Von denen ließ sich keiner abzocken. Und sie gaben keinen aus. Franco Marini machte, daß er weiterkam.
Die einzige praktikable Geschäftsidee, auf die er gekommen war, war eine Schwarzfahrt mit der Straßenbahn gewesen. Sie endete nach sechs Haltestellen am Schottentor. In seiner Hoffnungslosigkeit marschierte er hinter fünf Japanern her, ließ sich von ihnen auf Sightseeingtour mitnehmen. Und doch kam ihm keine Idee. Außer der, daß es eigentlich an der Zeit war, etwas zu essen.
Dann hörte er vertraute Wörter. Franco Marini sah sich um. Hinter ihm, vor einem Schaufenster, standen zwei Ehepaare. Arm in Arm, um die Vierzig, die Frauen pelzbemantelt. Norditaliener in freudigster Urlaubsstimmung. Einer der Männer hielt eine Flasche Spumante Asti Cinzano in der Hand.
Sylvester. Richtig. Hatte er beinahe schon wieder vergessen. Aus gutem Grund. An Jahreswechseln hatte er nicht sonderlich viel Glück. Cousine Maria. Ihn beschlich eine Spur von Heimweh. Nach Hinterzimmern im Cadornesischen.
Den cinzanobewehrten Ehemann zog es weiter, Trachtenröcke schienen ihn nach ein paar Minuten zu langweilen. Franco Marini konnte das verstehen. Er ging im Abstand von ein paar Metern dem Ehepaar hinterher. Versuchte, Gesprächsfetzen aufzufangen. Ließ sich von ihnen durch die Innenstadt führen. „Però, è bella, ’sta Vienna. Accogliente e pulita. Niente da dire.“ Seine Begleiter waren sich einig: schön, einladend und sauber war sie, die Stadt Wien.
Franco Marini lächelte bitter. Er hätte den vergnügten Landsleuten und Touristen leicht das Gegenteil beweisen können. Von dem Jahr erzählen, das er in dieser Stadt gelebt hatte. Er ließ es sein. Zog vor, der unerkannte Fünfte zu bleiben. Einen Meter neben ihnen, zwei Meter hinter ihnen, am Schaufenster nebenan.
Das Gedränge war stärker geworden. Die Völker der Welt flanierten durch die Kärntnerstraße, feierten und warteten darauf, daß das Jahr sich einen Ruck gab. Immerhin waren sie eigens dafür nach Wien gekommen.
Franco Marini hatte Mühe, in dem Menschenauflauf an seinen Italienern dranzubleiben. Vor allem, weil es plötzlich hinten und vorne krachte und leichte Unruhe aufkam. Ein paar Halbwüchsige machten sich einen Spaß daraus, den Touristenpelzmänteln Knaller hinterherzuwerfen und sich dabei von der Polizei nicht zu erwischen zu lassen. Die Uniformierten fanden das gar nicht witzig, weniger noch als die Damen in den Pelzen. Sie vergaßen ihre polizeiliche Würde und gingen hechelnd auf Verfolgungsjagd.
Franco Marini war der erste, der dabei unter die Räder kam. Er rappelte sich mühsam wieder auf.
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